Barrierearm im Web zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Ärgerlich ist es, wenn trotz gesetzlicher Verordnung Webseiten weiterhin nicht barrierearm gestaltet sind.
Noch ärgerlicher ist es allerdings, wenn die eigene Webseite nicht barrierearm gestaltet ist, obwohl man im kirchlichen Feld tätig ist und prinzipiell alle Gemeindemitglieder erreichen möchte.
Leider kann sich auch die kirchliche Medienwelt oft nicht von der Lücke freimachen, die zwischen dem eigenen (moralischen) Anspruch und der digitalen Wirklichkeit klafft.
Knapp 17 Jahre nach Verabschiedung des Behindertengleichstellungsgesetzes und rund zehn Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention bleibt noch viel zu tun – auch im eigenen Feld.
Menschen mit Beeinträchtigung als Zielgruppen erkennen
Wir sprechen lieber von „barrierearm“ statt von „barrierefrei“. Vollkommene Barrierefreiheit gibt es nicht, dafür sind Nutzerinteressen und ‑voraussetzungen zu verschieden und erlauben keinen flächendeckend barrierefreien Zugang. Es gibt aber technische Möglichkeiten, um den allgemeinen Zugang zu den Inhalten der eigenen Webseite zu erleichtern.
Hierfür müssen Webseitenbetreiber Menschen mit Beeinträchtigungen als Zielgruppen mit je eigenen Voraussetzungen identifizieren:
Menschen mit Sehbeeinträchtigung
Barrierearme Webseiten für Menschen mit Sehbeeinträchtigung müssen zweierlei Anforderungen erfüllen: Sie müssen zum einen für Menschen mit Sehschwäche optimiert sein. D. h. sowohl Schriftgröße als auch Kontrast sind anzupassen. Zum anderen sollten Menschen mit einer hochgradigen Sehbeeinträchtigung mittels Screenreader (=Vorlese-Anwendung) den Inhalt einer Webseite erfassen können. By the way: Die WHO unterscheidet fünf Stufen von Sehbeeinträchtigung (angefangen bei einem Visus von 0,3 – Sehvermögen ist kleiner oder gleich 30% – bis hin zu vollkommener Blindheit).
Menschen mit Hörschädigung
Auch Menschen mit Hörschädigung haben je unterschiedliche Voraussetzungen: Angefangen bei einer leichtgradigen Hörschädigung (Erhöhung von 21 bis 39 dB notwendig) bis zu einer kompletten Gehörlosigkeit (jenseits von 95 dB). Untertitelungen vertonter Beiträge oder Visualisierungshilfen in Gebärdensprache helfen dieser Zielgruppe.
Menschen mit Lernschwierigkeiten
Menschen mit Lernschwierigkeiten – so der politisch korrekte Begriff für geistig Behinderte – klassifiziert der ICD (International Classification of Diseases) in sieben Grade der Behinderung. Der Beeinträchtigung kognitiver Fähigkeiten kann eine Webseite mit einem Angebot in leichter Sprache begegnen und damit einen sprachlich verständlichen Zugang für diese Zielgruppe eröffnen.
Gesetzliche Grundlagen
Wer sich als Webseitenbetreiber nicht mit dem Thema Barrierefreiheit auseinandersetzen möchte, bewegt sich mitunter auf rechtlich dünnem Eis.
Denn mit dem Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung werden Behörden der Bundesverwaltung per Gesetz verpflichtet, ihre Internetauftritte barrierefrei zu gestalten. In einigen Bundesländern sind Kommunen ebenfalls zur Barrierefreiheit verpflichtet.
Leistungsbeschreibungen für Aufträge, die europaweit ausgeschrieben werden müssen (wie einige Liefer- und Dienstleistungsaufträge), sind nach dem Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts auch barrierefrei zu gestalten.
Die weltweit gültigen Standards für barrierefreies Webdesign der WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) sind Empfehlungen, die in einzelnen Ländern auch gesetzlich verabschiedet worden sind: In Deutschland durch besagte Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung und in Europa als Bestandteil der Norm EN 301 549.
Zudem schlagen das Europäische Parlaments und der Europäische Rat im European Accessibility Act eine verpflichtende Barrierefreiheit auch für Webseiten der Privatwirtschaft vor.
Tipps & Tools für Ihre barrierearme Webseite
Zum Testen von Websites auf Barrierefreiheit empfehlen wir folgende kostenlose Tools:
Mit dem Markup Validation Service können einzelne Dokumente hochgeladen oder die gesamte Webseite per Link-Eingabe getestet werden – Englisch- sowie HTML-Kenntnisse sollte man aber besitzen!
Mit dem WAVE-Tool kommen auch User ohne HTML-Kenntnisse zurecht: In einer Liveansicht und mit erklärender Legende zu den jeweiligen Fehlermeldungen sieht man direkt, wo es auf der eigenen Webseite noch hakt in Sachen Barrierefreiheit.
Ein sehr empfehlenswertes Tool für leichte Sprache wird kostenlos von Hurraki bereitgestellt. Man kann sowohl seinen eigenen Text einer Prüfung auf leichter Sprache unterziehen oder gezielt Begriffe in leichter Sprache in einem Wörterbuch suchen.
Zudem bietet Hurraki für WordPress ein Plugin an, dass automatisch Begriffe mit Artikeln in leichter Sprache aus dem Hurraki Wörterbuch verlinkt.
Wer für Videos, die auch Hörgeschädigte mitverfolgen sollen, kein Geld für einen Gebärdendolmetscher in einem eigenen Videofenster übrig hat, sollte daran denken, dass es für fast alle Videodienste im Internet Untertitelfunktionen gibt. Auf YouTube z. B. kann man Untertitel selbst bearbeiten.
Für mit WordPress erstellte Webseiten gibt es zahlreiche Plugins, die Funktionen für einen barrierearmen Zugang ermöglichen: Dazu zählen u. a. Accessible Poetry, WP Accessibility Helper und WP Accessibility, das wir für diese Webseite verwendet haben.
Wer eine Webseite in Auftrag geben möchte, sollte erfragen, ob sich die jeweilige Agentur mit dem Gestalten barrierearmer Webseiten auskennt. Die Liste 90plus präsentiert eine Reihe von Agenturen, die barrierearm zugängliche Webangebote entwickeln. Allerdings zahlen Agenturen eine stolze Summe Geld, um in diese Liste aufgenommen zu werden – nicht im Sinne von Barrierefreiheit, wie wir finden!